Ich liebe es, Feste zu feiern. Meine Gäste zu bewirten, sie dabei zu beobachten, während sie aus dem Alltag abtauchen und sich amüsieren. Ich liebe dabei die Geräuschkulisse aus Musik, angeregten Unterhaltungen, Geschirrgeklapper und der singenden Gruppe von tanzbegeisterten.
Die letzte Feier in dieser Art und Weise veranstalteten wir zu meinem vergangenen runden Geburtstag. Wenn mir zum damaligen Zeitpunkt jemand die Zukunft der nächsten drei Jahre vorausgesagt hätte, wäre ich höchstwahrscheinlich schreiend davongelaufen, denn tiefe Täler durchschreitet niemand so wirklich freiwillig.
Mein persönliches, tiefes Tal bestand aus Beziehungskampf, Krankheit, unfreiwillige Erkenntnis der Realität, Trennung, Aufgabe alter Strukturen und Verkauf unseres geliebten Heims, aus dem ich eigentlich irgendwann waagerecht herausgetragen werden wollte. Aber über dieses Tal möchte ich heute nicht schreiben.
Heute bin ich berührt von der Erinnerung an jenen Augenblick auf dieser Geburtstagsparty, als ich um Mitternacht einen der beiden wichtigsten Männer aus meinem Leben, in der Traube von Gratulanten entdeckte. Er stand weit hinten, mit seiner Rose und wartete geduldig, bis er an der Reihe war. Von all den anwesenden Gästen, die diese Situation mitbekamen, reagierte nur eine mir ans Herz gewachsene Freundin, indem sie darauf hinwies, dass mein Vater doch endlich mal vorgelassen werden sollte.
Es war an diesem Abend sowieso etwas verrückt, dass meine engen Familienmitglieder mich erst mittendrin oder am Ende umarmten und mir ihre Segenswünsche mitteilten. Vielleicht stand es auch als Synonym für unsere allgemeine familiäre Situation.
Ich selbst hatte immer im Außen gelebt und viele meiner Wegbegleiter, Aufgaben, Hobbys und Neigungen des kleinen, inneren Familienkreises vorgezogen. Ich suchte mein Leben lang Bestätigung und Aufmerksamkeit, welche ich in meinen Lebensabschnitten, als Schulkind, Teenager und Frau in den verschiedenen Beziehungen nicht bekommen habe. Nein – ich muss viel tiefer zurückgehen. Ich selbst war kein Wunschkind. Die Familienplanung meiner Eltern war bereits abgeschlossen, als ich mich nach dem Kuraufenthalt meines Vaters erfolgreich durchgekämpft habe. Ich wollte unbedingt auf diese Welt kommen.
Als ich mich dann auch noch in den Kleinkind-Jahren zum süßen Wonneproppen entwickelte und durch meine Lebendigkeit viel Aufsehen erregte, wuchs nicht nur Liebe in meiner Ursprungsfamilie, sondern auch Neid und Eifersucht und leider fallen bis heute noch Sätze, dass ich ja gar nicht gewollt gewesen sei. Aber dieser Umstand soll hier nicht weiter thematisiert werden.
Die Ehekrise meiner Eltern kreiste einige Jahre um meine Geschwister, meinen geliebten Opa (mein zweiter, wichtigster Mann in meinem Leben) und mich. Selbst nach der Trennung hörte meine Mutter nie auf, ihren Schmerz, ihre Wut und ihre Trauer im Außen zu tragen. Ich wehrte mich mit Händen und Füßen dagegen und entwickelte mich zu einer Rebellin, wie sie im Buche steht.
Ich zog mein Ding durch. Immer. Egal, was geschah oder wer etwas dagegen einzuwenden hatte. So wuchs daraus eine Lebensgefährtin, die nicht einfach zu händeln ist, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat.
Die Liebe zu meinem dritten Ehemann hatte allerdings einiges in mir verändert. Ich liebte ihn so sehr, dass ich mich im Laufe der Zeit immer mehr anpasste und versuchte, ihm gerecht zu werden und veränderte mich in meinem Wesen. Ich wurde unleidlich, zickig, launisch, gereizt und schlug verbal um mich. Ich fühlte mich gegängelt und auch teilweise manipuliert.
Jedoch bin ich davon überzeugt, dass er dies alles nicht wollte. Denn die Ursache lag tief in mir drin. Ich wollte mich nicht in eine Form pressen lassen, nicht mein Verhalten ändern oder mich anpassen. In mir gärte es über Jahre. Ich sperrte meine inneren Wünsche und Wesenszüge weg. Die Magmakammer wuchs und irgendwann kam alles zum Ausbruch.
Erst durch Vorboten, indem ich mich in weitere Hobbys, wie das Schreiben und die Imkerei stürzte. Diese Ablenkung funktionierte eine Zeit lang, weil ich so das Konto meiner inneren Selbstbestätigung auffüllte.
Ich dachte, wenn ich zufriedener bin, verändere ich mich. Und wenn ich mich verändere, ändere ich automatisch das System und vielleicht auch meine Beziehung zu meinem Mann.
Ich veränderte das System – unsere Ehe auch. Aber in eine andere Richtung. Ich schenkte ihm noch weniger Aufmerksamkeit und das ging nach hinten los.
Heute glaube ich, dass ich nicht für die klassische Beziehung geeignet bin. Als alleinerziehende Mutter bin ich großartig. In meinem Job ebenfalls. Aber als liebende Ehefrau hatte ich wohl zu wenig gegeben und konnte die Erwartungen des letzten Lebensabschnittsgefährten nicht erfüllen.
Nun könnte beim Lesen der Eindruck entstehen, dass ich traurig bin. Im Gegenteil. Ich bin unglaublich dankbar über all die Erfahrungen der letzten drei Jahre. Denn aus dieser Zeit konnte ich unglaubliche Kraft und Stärke schöpfen.
Ich bin wieder der Baum, der tief verwurzelt im Leben steht, nicht beschnitten werden möchte und sich gerne den Wind um die Nase wehen lässt. Ich biete Schutz und Wärme und breite meine Arme aus, wenn meine Lieben Trost und Kraft brauchen.
Wie mein geliebter Opa, auf den ich in einem anderen Beitrag ausführlicher eingehen möchte. Mein Opa hat mir den Blick für die Wahrheit und Oberflächlichkeit geschärft. Er vermittelte mir die Werte der Liebe zu den Menschen, vor allem zu den bedürftigen Menschen. Und er war immer für mich da, wenn ich ihn brauchte.
Mein Vater war ein Freigeist und ein Feingeist in seiner Aquarellkunst. Seine kreativen Hände erschufen wundervolle Schnitzfiguren, Töpferarbeiten, Dekorationen oder Spielsachen. Gleichzeitig durfte ich immer mit ihm über vielerlei weltliche Dinge diskutieren und er ließ mir meine Meinung. Begeistern konnte ich ihn, wenn ich etwas leistete und erfolgreich war in seinen Augen – durch seinem Blick auf die Dinge. Menschen, die anders gestrickt waren als er, hatten es schwerer, seine Akzeptanz zu gewinnen.
Er liebte die Natur über alles. Seine Farbe war grün in allen Facetten. Wer seine Galerie betrachtet, erkennt dies recht schnell. Ein warmes grün dominiert immer. Er brachte mir das Skifahren, das Bergwandern bei und erweiterte meinen Blick auf die Schönheiten der Natur und die Ehrfurcht gegenüber der Berge.
Die Musik war sein höchstes Gut. Er spielte Akkordeon, Orgel, verschiedene Flöten, Jagdhorn und während er ohne Noten spielte, tauchte er mit geschlossenen Augen in seine eigene Welt ein. Er liebte die Fotografie und sein Perfektionismus begleitete ihn stets und ständig. Und auch ihn zog es laufend zu anderen Dingen und Menschen hin, die ihm seinen Wunsch nach Bestätigung erfüllten.
Dieser Mann – mein geliebter Vater- stand also in der Traube von Geburtstagsgästen und wartete geduldig. Er kam auf mich zu, sah mich mit einem mir nicht so vertrauten Blick an und drückte mich aus tiefen Herzen. Mein DJ erkannte diese Situation sofort und legte die entsprechende Musik auf. Mein Papa und ich tanzten. Und nur das Gefühl regierte zwischen uns. Sonst nichts!
Denn er war damals schon leicht dement und geistig nur noch abschnittsweise da. Wie schwer dieser Zustand für ihn auszuhalten sein musste, erlebten seine Lieben immer wieder an seiner Ungeduld.
Wenn ich dies so beschreibe, rollen mir wieder die Tränen. Denn er ließ mich in diesem Tanz all seine Liebe spüren, die ich so vorher nie in unserem gemeinsamen Leben fühlen durfte. Er war nie der Vater, der Liebe als Gefühl vermitteln konnte.
Eher zeigte er sich mir gegenüber als Leitwolf, der auf einer anderen Ebene für mich da war. Umso mehr haben mich diese drei Minuten erfüllt. Ich konnte ihn riechen, ihn spüren und für einen kurzen Moment in ihm versinken. Wie sehr hätte ich mir diesen Zustand in meiner Kindheit und Jugend gewünscht, als unser Familienkonstrukt völlig zusammenbrach.
Umso mehr bin ich heute dankbar für jenen Augenblick.
Gestern wurde mein Vater mit einem weiteren Schlaganfall in die Klinik gebracht. Seine Demenz ist stark fortgeschritten und Gespräche, welche einen Sinn ergeben, sind schon lange nicht mehr möglich.
Heute fühle ich ihn, wenn ich bei ihm sein kann. Heute rieche ich ihn und sehe in seine leeren Augen. Ich halte seine Hand und bin froh, dass diese noch warm ist.
„Ich weiß nicht, wie lange wir dich noch in unserer Nähe haben dürfen, lieber Papa. Ich wünsche dir, dass du irgendwann friedlich von uns gehen darfst und so Gott will, werde ich neben dir sitzen und deine Hand dabei halten.
Eigentlich wollte ich seit gestern bei dir sein, aber meine starke Erkältung hielt mich zurück. Es sollte so sein. Wenn ich so aus dem Fenster blicke, denke ich daran, wie du mir im Wald bei nebeligem, feuchtem Wetter, die Ostereier gezeigt hast, welche der „Osterhase“ versteckt hat. Ich war noch ein Kindergartenkind.
Daran denke ich nun in der K-Woche und sende dir auf mentaler Ebene einen liebevollen Blick und umarme dich. Was bleibt tief in mir übrig?
Unendliche Dankbarkeit und Liebe!“