Hier geht es nicht um das Rezept von Erbspüree oder Berliner Eisbein, sondern um eine kleine Story meines letzten, etwas chaotischen Wochenendes, in der diese Beilage keine unwesentliche Rolle spielte.
Wie stehst du zu altbewährten Mahlzeiten, wie zum Beispiel fettes Eisbein mit Kraut und Erbspüree nach Berliner Art oder Gulasch mit Rotkohl und Klößen? Oder deftigen Gänse- beziehungsweise Entenbraten?
Einige schüttelt es schon alleine nur bei der gedanklichen Vorstellung, eine fette, schwabbelige Schwarte zu verspeisen.
Mein Heißhunger auf bestimmte Gerichte ändert sich meist mit den jeweiligen Jahreszeiten und manchmal frage ich mich schon, warum ich zum Jahresende einer Murmeltierdame immer ähnlicher werde. Nur mit dem kleinen Unterschied, das ich weder einen Winterschlaf halte, noch einen dickeren Winterspeck nötig hätte, denn ich zehre noch von den Überresten des letzten Winters. 😉
Mit den kürzer werdenden Tagen erwachen die Einfälle meiner Lieblingsgerichte zu neuem Leben und müssen von mir umgehend zubereitet werden. Oder wenn mir meine Arbeitskollegin, welche wir letzten Donnerstag zum gemeinsamen Austausch trafen, von ihrem leckeren Gulasch mit Klößen und Rotkohl vorschwärmt und mir schon bei ihrer Beschreibung das Wasser im Mund zusammen läuft.
Noch während unseres gemeinsamen Spaziergangs ging ich in unsere Dorffleischerei, um mich mit den Zutaten für Südtiroler Rindsgulasch und Berliner Eisbein einzudecken. Mit einer vollen Tüte und einem leeren Geldbeutel verließ ich das Geschäft, welches sich die artgerechte Tierhaltung auch fett bezahlen lässt.
Den fragenden Blick meines, vor der Ladentür, wartenden Ehemannes beantwortete ich sofort mit:
„Ich konnte nicht widerstehen und hab gleich für´s komplette Wochenende eingekauft. Jetzt wird der Winter eingeläutet, auch wenn dieser womöglich wieder nicht eintreffen wird! Gleich morgen früh schmeiße ich die Eisbeine in den Topf. “ Voller Vorfreude legte ich die kostbare Ware in unseren Kühlschrank.
Mit dem Gedanken an den kommenden, freien Freitag schloss ich dessen Tür. Ein trauriger Tag wartete auf uns, denn das letzte Stück Weg mit den Angehörigen unseres verstorbenen Freundes sollte bewältigt werden. Wir saßen morgens wie gelähmt an unserem Frühstückstisch, beide unfähig, irgend etwas anderes zu erledigen. Diese Stimmung begleitete uns den ganzen Tag. Es war an der Zeit, unsere Gefühle und den Schmerz zuzulassen.
Am selben Abend holten mich meine Mädels zu unserer länger vereinbarten Verabredung ab und ließen mich herzlich spüren, was reale Freundschaften bedeuten.
Am folgenden Morgen erwachte ich vom Geräusch der sich schließenden Haustür und dem Motorengeräusch unseres Familienwagens. Schlaftrunken fiel mir das anstehende Auswärtsspiel unseres Großen ein, an dem „Papa“ teilhaben wollte. Ich schlurfte ins Kinderzimmer unseres Jüngsten, der heute ebenfalls zum Fußball durfte und von mir geweckt werden sollte. Ich war froh um seine Mitfahrgelegenheit, denn nun konnte ich mich auf all die liegen gebliebenen, ungeliebten Hausarbeiten stürzen. Diese immer wieder kehrenden, leidigen Tätigkeiten nervten mich in der vergangenen Woche besonders, aber sie gehören eben auch zu unser aller Leben.
Während ich bei lauter Mucke durch die Bude putzte, nebenbei die Schweinebeine in die Brühe zum Kochen einlegte und das Rindfleisch angebraten hatte, las ich auf meinem Handy die letzten Nachrichten des Eltern-Klassenchat. Es ging wieder um zu erledigende Hausaufgaben und Vorbereitungen zu anstehenden Tests.
Eine WhatsApp Gruppe von Eltern hat auch seine Vorteile, denn in diesem Falle wurde ich von Dingen informiert, die vorher über die gewöhnliche Mama-Kind-Kommunikation nicht thematisiert wurden. „Oh weh!“, dachte ich, „er wird sich wenig freuen, wenn er nachher nach Hause kommt und meine Planänderung für dieses Wochenende akzeptieren muss!“
Während ich heulend ein Kilogramm Zwiebeln schälte und klein schnitt, rief mich mein Kieferorthopäde an, um mir mitzuteilen, das ich heute noch in die Berliner Praxis fahren könne, um meine nervenden Spangenbögen zu kürzen. Die samstägige Sprechzeit erfreute mich zwar, setzte mich jedoch nun zeitlich mächtig unter Druck, alles irgendwie fertig zu kriegen. „
In zwei Stunden soll ich da sein? Super Nummer bei einer knappen Stunde Fahrweg!“, dachte ich und schwenkte kurzerhand auf die Schnellkochtopfmethode um. Südtiroler Gulasch benötigt eigentlich ein zwei bis drei stündiges, sanftes Schmoren im Rotweinsud. „Egal – wird schon werden!“, schoss es mir durch den Kopf. Dann kann ich schnell noch Staub saugen, bevor ich losfahre.
Während wir uns die Türklinke in die Hand gaben, teilte ich meinem Mann mit, das er statt der Klöße doch bitte die Nudeln kochen und er das Gulasch nur noch ein wenig würzen müsse und fuhr los.
Auf dem Rückweg besorgte ich die fehlenden Zutaten für Erbspüree & Co. – unser Sonntagsmenü. Als ich in unserer Küche meine Einkaufstasche leerte, erwähnte mein Schatz vorsichtig, das unser heiß geliebtes Gulasch irgendwie komisch schmeckte und er selbst mit meinem vorgeschlagenen nachwürzen nichts verändern konnte.
Unsere Jungs sind nach ihren Fußballtrainings und -spielen regelmäßig ausgehungert und werden im wahrsten Sinne des Wortes „zu Tieren“, wie ich oftmals spaßig erwähne, wenn nicht sofort Berge von Mahlzeiten auf dem Tisch stehen.
Dementsprechend entwickelte sich ihre Stimmung, als sie mit großem Appetit ihre gefüllten Nudelteller in Angriff nehmen wollten. Bereits nach dem ersten Löffel verzogen sie das Gesicht, meinte mein Mann. Als er nachfragte, sagten sie etwas kleinlaut: „Papa, das schmeckt mir heute nicht!“
Ich öffnete den Topfdeckel, kostete und bemerkte diesen bitteren Geschmack. Als ich umrührte, bestätigte sich meine Befürchtung. Angebrannt! Jedoch nicht nur ein wenig, sondern echt heftig, so dass ich nichts mehr retten konnte!
Die Tatsache stimmte mich einfach nur traurig. So viel Geld dafür ausgegeben, dem Kochen keine hundertprozentige Aufmerksamkeit geschenkt und meinem Lieblingsgericht mit der schnellen Methode „den Rest gegeben“! Eigentlich klar, das es schief gehen musste!
Da ich selbst den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte, zwang ich es mir hinein und dachte dabei: „Papa, wie machst du das nur immer? Ihr seid immer der Ansicht, bloß nichts wegwerfen zu müssen und esst so ziemlich alles mit Respekt auf. Hut ab! Ich werde es heute nicht hinkriegen!“ Das anstehende abendliche, Geburtstagsessen unserer Nachbarn tröstete mich über meinen Misserfolg hinweg. Und die Jungs freuten sich auf die Lieferung vom Pizzadienst.
„Was soll´s, es gibt Schlimmeres!“
Diesen Satz sagen wir uns in den letzten Tagen, seit dem Tod unseres Freundes, immer wieder. Es gibt Schlimmeres, als ein verbranntes Essen, ein nicht aufgeräumtes Wohn- oder Kinderzimmer, ein gedeckter Tisch ohne Deko oder die beiden verpackten Möbelstücke vom schwedischem Hersteller, welche noch auf ihren Aufbau warten. Es ist für uns momentan einfach alles irgendwie zweitrangig.
In dieser Zeit sehe ich sogar über ein nicht stattfindendes Sonntagsfrühstück hinweg. Unsere Söhne waren sowieso der Meinung, das für sie und ihren Übernachtungsgast die, in der Mikrowelle aufgewärmten Pizzareste völlig ausreichen würden.
Gut das ich am Vorabend noch daran dachte, die Erbsen meines heutigen Beitragstitels im Wasserbad einzuweichen. Wie oben bereits erwähnt, bereitete ich diese Beilage zum ersten Mal in meinem Leben zu. Mit Hilfe von Online-Rezepten kein Problem. Heute dürfte alles glatt gehen, dachte ich und stellte die Töpfe mit Schlachtekraut und Erbsen auf die jeweiligen Herdplatten. Hinten links durfte das vorbereitete Eisbein auf Touren kommen. So wie ich!
Denn auch an jenem Sonntag Vormittag widmete ich mich nicht einzig und allein meinem Lieblingshobby, dem Kochen. Durch versäumte Hausaufgaben, die nebenbei am Esstisch betreut werden sollten und meiner telefonischen Unterstützung für die Aktivierung der SIM Karte von Omas Handy, welches in Bayern über Ferndiagnose ihren Dienst aufnehmen sollte, war ich mal wieder nicht ganz bei der Sache.
„Mama, was riecht hier so?“, fragte mein Engel, der im selben Augenblick von seiner Hausaufgabentätigkeit aufsprang, sich dabei seinen Pullover über den Mund zog, zum Fenster rannte, dieses aufriss, um den Kopf rauszuhalten und sich einen tiefen Atemzug frischer Luft zu holen.
„Die Erbsen für unser Erbspüree riechen so. – Diese müssen noch etwa vierzig Minuten köcheln. Magst du den Geruch nicht?“, fragte ich und erntete die spontan, ehrliche Antwort: „Es ist zum Kotzen Mama – Wirklich! Das hast du ja noch nie gekocht! Was ist das?“ Meine folgenden Ausführungen zur heute geplanten Beilage interessierten ihn nicht wirklich, somit beschloss ich noch ein paar Kartoffeln aufzusetzen, was jedoch den uns umgebenen Duft, sowie sein Unwohlsein nicht wirklich änderte.
Zuerst dachte ich, das mein Sohn etwas übertreibt, begriff aber schnell, das es ihm ernst war, da es ihn immer wieder innerlich würgte. Hinzukam das mehrmalige Überkochen des grünen Sud´s. In keinem Rezept stand, das man sich selbst bei niedriger Temperatur um den sich immer wieder entwickelnden Schaum kümmern müsse, welcher sich unaufhaltsam den Weg nach oben sucht.
Ziemlich genervt und noch immer in meinem Schlafanzug steckend, pendelte ich mit dem Telefon am Ohr zwischen Herd, Hausaufgaben meiner Söhne und meinem Laptop wegen der PIN und PUK Abklärung von Omas Handy hin und her.
Vor meinem geistigen Auge spielte sich die Szene von Loriot ab, welche sich um das „Sitzen“ des Ehemannes dreht, während sie in der Küche beschäftigt war und immer wieder den Kopf durch die Tür steckte, um ihn zu fragen, was er denn gerade so machen würde.
Mein Mann saß jedoch nicht auf einem Sessel, wie in dieser Szene, sondern nahm an der männlichen Buddelaktion in Nachbars Garten teil. Als ich gerade zum dritten Male mit verschiedenen Lappen die Überreste des Erbsenschaumes vom Cerankochfeld entfernte, klingelte das Telefon. Oma war nun bereit, die letzten Züge der SIM-Kartenaktivierung durchzuführen.
In dem Augenblick, als ich mit meinen Erklärungen beginnen wollte, stolperte mein Mann durch die Terrassentüre. Die Hand auf sein rechtes Auge haltend, sagte er: „Ich glaube, ich hab mich verletzt!“
Ich vertröstete unsere geliebte Oma ein weiteres Mal, um die coolpacks heraus zu suchen. Auf den ersten Blick sah seine Verletzung nicht all zu schlimm aus, welche er sich durch den Schaufelstiel zuzog, da der Lehmboden seiner rohen Gewalt mächtigen Widerstand bot.
Nach einer Weile bildete sich allerdings ein angeschwollenes Veilchen und ließ uns scherzen, denn es war klar, das nun wieder ICH dafür her halten dürfe. Denn ich schlage ihn ja immer, wie er humorvoll meinte. 😉
„Wie läufst du hier eigentlich rum? Du siehst ja immer noch so aus wie heute Morgen!“, fügte er lachend hinzu, um sogleich meine Ironie ernten zu dürfen.
„Oh mein Herr, es tut mir leid, das ich Ihnen noch keinen anderen Anblick bieten kann. Mich hielten diverse andere Aktivitäten davon ab, als mich um mein Aussehen kümmern zu können. Ich weiß, das wir gleich zu Mittag essen und kurz darauf noch ein Date mit deiner Großen haben. Ich werde Sie – meinen Herrn und Gebieter – nun mit leckerem Eisbein über meinen unwürdigen Anblick hinwegtrösten. Ist Ihnen das genehm?“
Witzelnd fügte er hinzu, das man ihm ja gar keine Aufmerksamkeit mehr schenken würde, außer ihm eine aufs Auge zu geben und er müsse dies alles hier einfach nur ertragen. 😉
Auch diese sonntägliche Mittagsmahlzeit nahmen wir unkompliziert und ohne besondere Tischdekoration ein. Der Duft der grünen Beilage konnte ebenfalls nicht weggezaubert werden und schmälerte das Verzehrvergnügen meines Sohnes, was mir wirklich leid tat. Man kann einfach nicht aus seiner Haut, wenn der Körper bestimmten Gerüchen gegenüber abgeneigt ist!
Trotz aller Umstände genoss ich meine Portion Eisbein mit Sauerkraut, gerösteten Zwiebeln, Erbs- und Kartoffelpüree. Diese Mahlzeit beruhigte besonders am letzten Wochenende mein Nervenkostüm und ließ mich über manche Ereignisse hinwegsehen. Wenn ich auch zugeben muss, das ich dieses üppige Gericht nicht regelmäßig brauche und mein Bedarf für die nächsten Wochen wieder gedeckt ist.
Zum Schluss möchte ich euch folgende Anekdote erzählen:
Letzte Woche kursierte ein Video in den sozialen Medien, in dem ein Mann während des Essens gezeigt wird. Er stochert ziemlich lustlos in einer breiartigen Masse herum, führt den Löffel zum Mund und sagte dabei folgendes:
„Irgendwie – schmeckt mir das Essen meiner Frau nicht mehr. Ich weiß auch nicht warum. Es schmeckt einfach nicht!“ Der Mann hebt seinen Kopf, schiebt für einen kurzen Moment seine Sonnenbrille hoch und zeigt sein rechtes, blaues Auge. Er blickt in die Kamera und fügt hinzu: „Jetzt schmeckt mir mein Essen wieder! Ich kann auch nicht sagen warum …“
Und genau diesen Inhalt gab mein Mann in den letzten Tagen als Antwort wieder, wenn er gefragt wurde, was denn mit seinem Auge passiert sei.
Ich sollte das nächste Mal lieber doch wieder die bedeckten Körperstellen auswählen.
😉