Luft & Liebe – Auszeit

Ich befinde mich gerade auf der Rückreise von einem erlebnisreichen Partywochenende meines erwachsenen Sohnes, der im Ruhrgebiet lebt. Seit Monaten stand fest, das wir seinen Geburtstag zusammen, ohne unsere jüngeren Kinder nachfeiern werden. Eine Auszeit von der uns allzeit umgebenen Kinderwelt. Zeit für meinen Mann und Zeit mit meinem Großen. Und eine Auszeit für unsere Jungs, welche sich riesig über die Nachricht freuten, das sie dieses Wochenende bei ihren Kumpels verbringen werden.

Alle Möglichkeiten für Freiheit, Spaß und Erwachsenenbeziehungspflege standen auf grün und warteten darauf benutzt und genutzt zu werden. Mit Partyklamotten, Laptop und Leckereien bepackt stiegen wir in den Frühzug, Richtung Westen ein. Wie immer reservierten wir Familiensitzplätze mit Tisch für vier Personen. Die beiden übrigen Plätze waren für unsere Freunde bestimmt, die leider nicht dabei sein konnten.

Bestimmt wirken wir auf Mitreisende etwas befremdlich. Wir gehören zu den Bahnfahrern, welche sich häuslich einrichten. Es werden neben Zeitschriften, Handys, Laptop oder Tablet die Brotdosen, Trinkflaschen und Kaffeebehälter ausgepackt, auch wenn der Zeiger erst kurz vor sechs anzeigte. Irgendwie sterben wir bei Reisen und Ausflügen immer fast den Hungertod, ungeachtet der gestrigen Nachtmahlzeit kurz vor Mitternacht. 😉

Meine bessere Hälfte schmiert die saftigsten Sandwiches und jene zu verschmähen wäre unverzeihlich, wenn diese auch beachtlich zur Erweiterung meines Hüftumfang beitragen. – Ja ich weiß – würde es nur bei Sandwiches bleiben, bräuchte ich es nicht mal zu erwähnen. Die Ursachen für mein „Pummelchenlook“ resultieren eher aus missachteten Fitnessplänen oder meiner eingeknickten Ernährungsphilosophie. Wie argumentierte erst kürzlich eine meiner Freundinnen? Der Frühling hat einfach zu lange auf sich warten lassen …somit habe ich den Startschuss verpennt.

Ich befinde mich in der „Genieße dein Leben!“ Phase und lege aktuell den Schwerpunkt auf Geschmackserlebnisse aller Art. Ich weiß das es mich bald wieder packen wird und ich ins andere Extrem verfallen werde. Bis dahin ist jedoch noch ein wenig Zeit… Und genau an diesem Wochenende damit zu beginnen, wäre kontraproduktiv. Jetzt musste ich gerade lachen…denn in diesem Augenblick kommt mein Mann von seinem Ausflug zum Speisewagen zurück. Und was bringt er mir mit? Ein Flammkuchen und eine kleine Flasche Sekt. Nun kann ich beschwingt weiterschreiben…

Wir zogen also im wahrsten Sinne des Wortes in den Wagon der Deutschen Bahn ein und nahmen unseren Tisch in Beschlag. Währenddessen wir uns niederließen, bemerkten wir die Teilnehmer der beiden mitreisenden Hockeymannschaften, welche aus gefühlten Hundert Mädchen bestand und welche alle im selben Großraumwagen saßen. Ein beginnendes, kinderfreies Wochenende mit kreischenden und jubelnden, etwa zehnjährigen Mädels, welche ihre Tanzeinlagen für das bevorstehende Abendprogramm im Gang neben unserem Tisch, unter Youtube Vorlagen einübten.

Bis zur Ankunft durften wir live die verschiedensten Methoden von gegenseitigen stylen der Haare bewundern, den Diskussionen zum „Rückwärtsfahren müssen“ folgen und den sich daraus ergebenden Geräuschen beim „sich Übergeben“ lauschen. Jeder der uns kennt weiß, das wir ein Herz für Kinder haben. Und doch retteten wir uns in die Geräuschkulisse unserer mitgebrachten Kopfhörer und flohen in unsere Gedankenwelten.

Ich empfand unser Umfeld herzerfrischend und lebendig. Diese Mädels werden vielleicht zu den künftigen Powerfrauen gehören, welche unseren Jungs die Köpfe verdrehen und sie gleichzeitig mit ihren weiblichen Zügen zur Verzweiflung bringen. Unser Gehirn tickt nun mal anders…Diese Erfahrungen darf jeder heranwachsende Mann sammeln. Mal mehr – mal weniger.

Ich nutzte diese beiden Tage, um Eindrücke zu sammeln, Stimmungen aufzusaugen, Erinnerungen zu wecken und mich ungezwungen und frei zu fühlen. Ich durfte reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist, trinken, was und wann ich wollte, ich hörte das unbekümmerte Lachen meines Mannes und schlenderte glücklich durch die Lebensräume meines Sohnes.

Ich beobachtete ihn und fühlte mich zeitweise in diesem typischen Zeitraffermodus, welcher dir in deinem Kopf all diese Bilder der verschiedensten Entwicklungsstufen abspielt.

Ich sah ihn als Dreijährigen auf der Fensterbank des weit geöffneten, sich im zweiten Stock befindenden Kinderzimmers stehen. Meine Mutter, welche nebenan wohnte, sollte auf ihn aufpassen und hatte nicht bemerkt, wie sich der kleine Schlingel wieder einmal aus dem Staub gemacht hatte, um sich nach Hause zu schleichen. Ich kam gerade, mit Einkaufstüten bepackt, um die Ecke unserer Straße, als ich ihn dort oben im geöffneten Fenster erblickte und mein Herz blieb fast stehen. Meine Taschen fallen lassend sprintete ich los, um so schnell wie möglich und noch rechtzeitig bei ihm anzukommen. Ich hechtete die Treppenstufen hinauf und öffnete langsam die Türe zum Kinderzimmer. Langsam und leise sprechend ging ich auf ihn zu, um ihn festzuhalten und hinunter zu heben. Ich hielt ihn fest in meinem Arm, als er zu mir sagte: „Mama – ich bin Batman und möchte auf das Dach vom Bus springen!“ Dieser stand oft in der Einfahrt unseres Mehrfamilienhaus.

Ich sah uns beide schlafend auf der Obstbaumwiese liegen, welche sich gegenüber der Baustelle unseres ersten Hauses befand. Ich ruhte mich dort ein wenig, auf dem Bauch liegend, im Schatten aus. Als Vierjähriger konnte ihn niemand mehr von einem Mittagsschlaf überzeugen. An jenem Tag muss ich einladend gewirkt haben. Er hat mein Hinterteil als Kopfkissen benutzt und ist gemeinsam mit mir eingeschlafen.

Ich hatte das Bild vor mir, wie er mit unseren beiden großen Mischlingshunden tobend durchs Haus rannte. Unsere Cera, welche ihn im Welpenalter auf der Schotterstraße vor unserem Haus umriss. Er hatte den Auftrag, die Leine nicht loszulassen. Diesen Auftrag hatte der verantwortungsvoll ausgeführt, selbst als sie ihn, auf dem Bauch liegend, hinter sich her zog. Schluchzend wiederholte er immer wieder den Satz: „Mama, ich sollte sie doch festhalten, hast du gesagt…“, als ich seine blutigen Schürfwunden an beiden Knien versorgte.

Sah ihn, kurz nachdem er schwimmen gelernt hat, kopfüber vom Dreimeterbrett springen und als dreizehnjährigen barfuß auf den Felsen der Steilküste zum Golf von Neapel hinauf klettern, nur weil er einen bestimmten Felsen für sich entdeckte, welcher ihn zum Sonnen einlud.

Sah ihn schwer enttäuscht und wütend am Spielfeldrand seiner Fußballmannschaft sitzen, weil er wegen seines hitzköpfigen Ehrgeizes mit einer roten Karte des Platzes verwiesen wurde.

Sah ihn als Teenager bei seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Skateboard fahren. Dieser Zeitvertreib bestand aus stundenlangem Trainieren mit besten Kumpels, bei lauter Musik aus dem Ghettoblaster.

Erinnere mich an das Stylen seiner Haare, als es mit den Mädels losging, welche er heute noch mit seiner sympathischen Art faszinieren kann und denke daran, das ich sein heimliches, nächtliches Verschwinden nie mitbekommen hatte. Jene Aktionen, über die er mir erst später berichtete.

Ich kann mich noch genau an den Augenblick erinnern, als ich eines morgens neben seinem Bett stand und ihn beim Schlafen beobachtete. Jener Augenblick, als mir bewusst wurde, das er sich mittlerweile zu einem Mann entwickelt hat. Er kam mir plötzlich so riesig vor, als ich bemerkte, das seine Füße mittlerweile über das Fußende hinausragten. Die letzten Jahre sind gefühlt an mir vorbei gerast.

Mein geliebter großer Sohn,

dasselbe Gefühl hatte ich gestern, als ich dich beobachtete. Dir dabei zuzusehen, wie du dich aufmerksam um all deine Gäste kümmerst, dabei strahlst und gute Laune verbreitest, berührte mich sehr.

Wir durften mit dir in die lockere funworld des Luft & Liebe Festival eintauchen und uns mit tausenden, friedlich gestimmten Teilnehmern treiben lassen. Deine kurzzeitige Abwesenheit betrachte ich mit einem Schmunzeln, weil es einfach zu dir passt, wenn ich auch bemerkt habe, das ich aus meiner Mutterrolle wohl niemals rauskommen werde. 😉

Denke bitte immer daran, das du einzigartig und besonders bist! Ich bin glücklich darüber das du nicht zu den steifen Stock-verschluckten-Persönlichkeiten unserer Gesellschaft gehörst, welche in ihrem SELBST gefangen sind und sich ihre Freiheiten heimlich realisieren müssen. Jene, denen der äußerliche Schein über alles geht und sich täglich darin verbiegen müssen.

Du bist real, lebensnah und deine absolute Stärke liegt im sozialen Miteinander. Deine kommunikative, sympathische Art wird dir noch so manche Türen deines Lebens öffnen. Mach dir keine Sorgen um deine Zukunft. Du wirst alles wuppen, was auf dich zukommt. Deine emotionale Art wird dir manche Grenzen aufzeigen, jedoch dich auch immer wieder zu dir selbst und den dir wichtigen Lieblingsmenschen führen.

Ich bin mächtig stolz auf dich, wie du dir im letzten Jahr, step by step, ohne fremde Unterstützung ein neues stilvolles zu Hause geschaffen hast. Ein eigenes, kleines Reich in dem du dich fallen lassen kannst. Deine Oase für Kreativität und liebevolle Begegnungen, aber auch für chillige Männerabende, welche sehr wichtig sind. Wir Frauen müssen nicht immer und überall dabei sein.

Ich bin sicher, das dir noch irgendwann die Liebe deines Lebens über den Weg laufen wird. Sie wartet irgendwo in dieser Welt auf dich und mit dem tieferen Blick auf ihre wahren Werte wirst du sie rechtzeitig erkennen, so wie das versteckte Herz unter den Wellen im oberen Beitragsbild, welches ich mir aus deiner Galerie aussuchen durfte.

Bis dahin wirst du weiterhin dein Leben mit Luft & Liebe genießen und deine Freundschaften pflegen. Jene Freunde, die zu deiner Familie gehören und die ich alle sehr schätze. Ich bin dankbar, das dich diese wertvollen Menschen begleiten.

Ich drück dich und freue mich auf unser nächstes Wiedersehen!

Deine dich liebende Mum