„Komm, lass stehen!…Die ist doch echt zu blöde, den Ball zu fangen!…Oh man, jetzt müssen wir DIE DA wieder in unsere Mannschaft aufnehmen….“
Diese und andere Aussagen hörte ich oft im Grundschulalter, wenn es sich um das Auswählen von Mannschaften für diverse Ballspiele drehte. Ich stand meistens bis zum Schluss in der Traube von Kindern, welche nach und nach zu den jeweiligen Seiten aufgerufen wurden. Traurig fügte ich mich am Ende in die leicht verärgerte Truppe von Mitspielern ein. Der Begriff „Selbstbewusstsein“ wurde mir zu jener Zeit noch nicht vorgestellt. Wie oft übte ich vor einer Garagenwand, die dagegen geworfene Bälle wieder aufzufangen. Eine wirkliche Verbesserung trat erst nach Jahren ein.
Ich gehörte zu jenen Kindern, welche gefüllte Gläser oder Tassen über Tische kippte oder welche Gegenstände neben der Tischkante abstellte, so das diese zu Boden fielen. Meine erste bewusste Ohrfeige handelte ich mir von meiner Mutter ein, als ich aus dem Kühlschrank die Leberwurst mit samt dem erst neu erworbenen Milchkännchen ihres Lieblingsporzellans zu Boden riss.
Nicht selten hörte ich Satzanfänge wie: „Monika – kannst du nicht endlich mal aufpassen! Mach doch mal langsam! Du machst mich wahnsinnig! Nicht schon wieder…!“ Und jedes Mal stand ich betroffen daneben und wurde wütend. Wütend auf diejenigen, welche mit mir in dieser Art und Weise umgingen und wütend auf mich selbst, weil es mir immer und immer wieder passierte.
Nicht selten wurden derartige Vorfälle auf mein wildes Temperament geschoben. Dies war bestimmt auch oft ein Grund für ähnlichen Situationen, jedoch eben nicht immer. Ich fand mich damit ab, das ich nun mal ein Schussel bin und eben nicht, wie andere Kinder, z. B. Bälle fangen konnte.
Irgendwann verinnerlicht man diverse Aussagen und packt sich selbst in die, von anderen, für dich bestimmte Schublade hinein. Bis zu dem Tag, als ich unserer Lieblings-Orthoptistin meiner jüngsten Söhne gegenüber saß, welche mir die Zusammenhänge von Sehfehler, wie Schielen, genauer erklärte. Ein konsequentes Abkleben des gesunden Auges wurde von meinen Eltern versäumt und somit ein rechtzeitiges Gehirntraining verhindert.
Das ich nicht gleichzeitig mit beiden Augen sehen kann, wurde mir in dem Augenblick bewusst, als mir mein Vater in den Achtzigern voller Stolz die ersten 3-D-Bilder präsentierte.
Als junge Mami wiederholte ich immer wieder den Satz: „Nein Papa – ich kann das veränderte Bild nicht sehen! Ich erkenne nur graue Strukturen – sonst nichts!“ Mein Papa ließ nicht locker. Er war sich sicher, das ich etwas falsch machen würde und wiederholte seine Aussage: „Nun sieh doch noch einmal auf das Bild. Du musst das doch erkennen!“ Das gibt´s doch gar nicht!“ Ich erkannte NICHTS! Kein Bild – nur grau-weiße Muster. Sonst nichts.
Später kamen die ersten 3-D-Kinofilme heraus, welche ich heute zu gerne miterleben würde. Aber auch hier – nichts zu erkennen. Ich bin diejenige, welche mit einer Doppelverglasung an Brillen im Kino sitzt. Das heißt, ich stülpe mir die 3-D-Brille über meine eigene Sehhilfe, damit ich den laufenden Film nicht verschwommen ansehen muss. Die Effekte müssen einzigartig sein. Mir fallen diese nur auf, wenn andere Kinobesucher auf ihren Sesseln in Bewegung geraten, wenn diese zusammenzucken oder ausweichen.
Keine Ahnung, wie sich 3-D anfühlt. Aber ich wüsste es schon gerne! Manchmal frage ich mich, ob ich gänzlich die Welt aus einem anderen Blickwinkel betrachte und ob die Menschen mit normal funktionierenden Augen die Umwelt anders erfahren, als ich.
Da ich gerne zeichne, bin ich mir oft unsicher, ob ich in meinen Bildern eine reelle Tiefe ausdrücken kann. Ich weiß es nicht.
Ich weiß nur, das es mir möglich ist, meinen Blick von rechts nach links umzustellen. Da ich nur mit einem Auge fokussiere, kann ich bewusst von links auf rechts umschalten, was sich jedoch sofort äußerlich durch eine extreme Schiefstellung beider Augen bemerkbar macht – eben das Schielen. Jenes Schielen, welches mich in unzählige, peinliche Momente meines Lebens beförderte. Stellt euch folgendes vor:
Du bist mit deiner neuen Liebe noch nicht lange zusammen. Fährst mit ihm das erste Mal auf dem Motorrad zum kleinen Fest im Biergarten, sitzt ihm freudestrahlend gegenüber, hast dich rausgeputzt, was bei mir nicht nur geschminkt bedeutet, sondern auch eingesetzte Kontaktlinsen, statt einer Brille auf der Nase und die damit verbundene, leichte Schiefstellung meiner Augen. Denn Kontaktlinsen korriegieren dies leider nicht zu einhundert Prozent. Und kommt Müdigkeit oder gar Alkoholeinfluss ins Spiel geht gar nichts mehr.
Mit diesem Blick sah ich meine frische Liebe an und freute mich des Lebens. Seine plötzliche Verhaltensänderung, mir gegenüber, konnte ich mir nicht erklären. Sein Blick wurde eiskalt, er trank sein Glas zügig leer und forderte mich auf, nach Hause zu fahren.
Bist du schon mal hinter einem wütenden Motorradfahrer auf der selben Maschine gesessen? Ich schon. Eben in diesem Augenblick. Ich hatte eine Scheißangst, heile nach Hause zu kommen und habe mir an jenem Abend geschworen, nur noch selbst fahrend auf ein Motorrad zu steigen. Den Führerschein begann und bestand ich noch im selben Jahr.
Zu Hause angekommen, stellte sich im Streitgespräch heraus, das mein damaliger Partner der festen Überzeugung war, das ich mit dem, schräg hinter ihm sitzenden Typen mächtig geflirtet haben sollte, weil ich diesem Mann doch immer wieder mein Lächeln schenkte.
Ich streite nicht ab, das ich in meinem Leben des öfteren geflirtet habe, wo ich es nicht hätte tun sollen, jedoch in jenem Augenblick gehörte meine Aufmerksamkeit einzig und allein meinem Gegenüber. Das erkläre mal demjenigen so, das es nicht als Ausrede rüberkommt! Bei einem grundsätzlich eifersüchtig eingestelltem Typen, ein Ding der Unmöglichkeit.
Noch heute passiert es mir in Gesprächen mit neuen Mitmenschen, das sich mein Gegenüber nach hinten links umdreht, während ich mit ihr/ihm unterhalte, weil sie denken, ich sähe jemand anderen an. Heute bin ich mir über den Hintergrund bewusst und erwähne sofort, das ich schiele und ich manchmal eben etwas schräg bin – nein – schräg blicke. 😉
Was wären wir ohne Humor? Humor hilft dir, in den meisten Lebenslagen zu Recht zu kommen. Ich gehöre zu den Frauen, welche manchmal etwas sarkastisch unterwegs sind, womit nicht alle in meinem Umfeld klar kommen. Auch englischen Humor finde ich einzigartig und oft hilfreich, um diverse Situationen anzunehmen.
Heute lache ich über meine eigenen, peinlichen Vorfälle, welche durch meinen kleinen Schönheitsfehler entstehen. Ich lache, wenn ich mal wieder die Kerze im falschen Winkel wirkungslos auspusten möchte oder im wahrsten Sinne des Wortes nicht zum Zug komme, weil ich mir beim, selten gewordenen, Zigaretten anzünden das Feuerzeug neben den Stängel halte oder die Asche neben den Aschenbecher abklopfe.
Ich schmunzele, wenn mir beim unkonzentrierten, geräuschvollen Abstellen meines Glasen ein Teil des Inhalts überschwappt, weil ich dabei die daneben stehenden Gefäße nicht beachtete. Mein vor Kurzem erlebtes Highlight dieser Art erlebte ich während eines Geburtstagsessens bei lieben Freunden.
Nach einem aufregenden Fortbildungstag mit abendlicher Sitzung zum gleichen Thema, stieß ich zur Geburtstagsrunde etwas verspätet hinzu und freute mich über die unglaublich lecker zubereiteten Speisen, welche sich vor meinen Augen aufreihten. Die bereits vorhin erwähnte Müdigkeit wirkte sich auf meine leichte Sehbehinderung aus, so das es mir doch tatsächlich passierte, das ich den gesamten Inhalt des gefüllten Salatbesteck neben meinen Teller auf den Tisch ablegte. Das war nach achtundvierzig Jahren Lebenserfahrung mein primäres Erlebnis dieser Art. So kannte ich das bisher noch nicht. Viele Dinge sollen bekanntlich im Alter schlimmer werden. Wer weiß, was da noch auf mein Umfeld zurollt… 😉
Apropos rollen- eine Geschichte fällt mir noch ein: Das war der Knaller.
Mein erstes Auto, ein VW Derby, welchen ich damals nur ein paar Wochen fahren durfte, sollte von mir rückwärts eingeparkt werden, als ich unser befreundetes Pärchen, welches im vierten Stock wohnte, besuchte. Warum erwähne ich, das diese im vierten Stock wohnten? Weil alle Freunde aus dem geöffneten Fenster nach unten blickten, was mir allerdings erst später auffiel.
Und jene Freunde live am folgenden Geschehen teilhaben durften. Es muss wie in einem der heutigen youtube videos ausgesehen haben. Nach drei bis sechs Anläufen schaffte ich es endlich, das Hinterteil meines Wagens in die ausgewählte Parklücke zu bewegen. Um das Ganze irgendwie passend zu machen, fuhr ich mehrmals vor und zurück, damit sich mein VW in gerader Linie, den anderen parkenden Autos einfügte. Ein normaler Ablauf, wenn man diesen Text so liest. Nicht ganz.
Denn jedes Mal, als ich das Auto vor- bzw. rückwärts bewegte, stieß ich an dem vor und hinter mir parkenden Fahrzeugen an. Zwar nur leicht, so das kein Schaden entstand, jedoch so auffällig, das ich beim Aussteigen das schallende Gelächter meiner Freunde wahrnahm, welchen sich ein belustigender Anblick bot. Ich konnte mir meine verbesserungswürdigen Fahrkünste nicht erklären und es blieb übrigens lange nicht bei diesem einzigen Vorfall. Diverse Schrammen oder Dellen haben fast alle meine Fahrzeuge bei Einparkmanövern abgekriegt. Besonders dann, wenn ich es eilig hatte. Meine Autos sind eben Karosserien mit besonderen Merkmalen!
Die Erklärung erhielt ich, als ich unserer Orthoptistin gegenüber saß. Alles was in meinem Leben mit Bewegungsabläufen mit Abstandseinschätzungen zusammenhängt, musste ich mir immer erst mühsam antrainieren. „Normalblickende“ sehen es einfach und reagieren darauf!
Meine Kindheitserfahrungen liegen lange zurück und dennoch prägten sie mich für mein weiteres Leben. Mein Selbstbewusstsein musste viele Jahre wachsen, um mit diesen Situationen zu Recht zu kommen. Aussagen von Mitschülern, wie :
„Was? Die Brillenschlange als Freundin? – Niemals“, sind vergessen. Erst später erfuhr ich, das es Menschen, wie meinen, an meiner Seite lebenden Ehemann gibt, die genau diesen kleinen Schwachpunkt an mir lieben.
Heute stehe ich zu meinem Silberblick und möchte diesen nicht mehr korrigieren lassen, denn die letzte und einzige Augen-OP im Kleinkindalter ergab keine hundertprozentige Verbesserung. Und eine OP im fortgeschrittenen Alter birgt das Risiko, das ich danach alles doppelt sehe. Die Vorstellung bis zu meinem Lebensende in einer Art Rausch zu verbringen, wäre nicht mein selbsterklärtes Ziel.
Ich nehme lieber meinen kleinen Schönheitsfehler als gegeben hin und amüsiere mich situativ mit meinen Lieblingsmenschen darüber.
Eigentlich dachte ich, das Brillenträger im Kindesalter heutzutage keine Nachteile erfahren. Ein aktuelles Gespräch mit meinem Sohn klärte mich jedoch darüber auf. Heute fuhr ich mit ihm zum Optiker. Ich freue mich, ihm seinen Wunsch, zusätzlich Kontaktlinsen nutzen zu können, erfüllen zu dürfen.
Danke für deine erheiternde Art mit deinem „Schöhnheitsfehler“ umzugehen und dies hier zu teilen. Ich selbst habe auch das Talent meine Hände nicht immer so fein-motorisch genau einzusetzen, wie es sinnvoll wäre und konnte mich in der ein oder anderen Sache wiederfinden, von der du schreibst… und auch die humorige Art selbst damit umzugehen ist mir bekannt.
Meine Frau hat einen unsichtbaren „Schönheitsfehler“. Sie hat auf einem Auge -11,75 Dioptrien mit nur 20% Sehkraft. Sie hat sich im Alltag offensichtlich gut damit arrangiert. Aber durch deine Beschreibung wurde mir noch deutlicher, was für Einschränkungen damit verbunden sind. Dass sie nicht räumlich sehen kann und dennoch tolle Sachen für unsere Familie näht, ist da um so faszinierender. Auch ist sie eine gute Autofahrerin mit hervorragendem Parktalent 🙂
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Deine Frau kann sich glücklich schätzen, einen aufmerksamen Partner an der Seite zu wissen…Danke für dein ausführliches Kommentar. Hat mich sehr gefreut.
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Fabelhaft geschrieben, liebe Mum-and-More!
Ach ja die Schönheitsfehler… in unserer heutigen, ach doch so „aufgeklärten und toleranten“ Gesellschaft immer noch ein Tabu-Thema (irgendwie…). Alle reden darüber, wenn mal einer (!) anfängt zu erzählen, was eben nicht so perfekt ist. Aber die Wenigstens stehen doch wirklich dazu. Und wenn bedarf es heute doch viel emotionaler Stärke und Größe.
Ich bin mir oft nicht sicher, ob wir eigentlich immer oberflächlicher (oder dümmer?) werden oder ob wir doch stärker zu Schönheitsfehlern stehen als früher. Vielleicht hat sich auch gar nichts verändert. Allerdings empfinde ich den Druck den heute Kinder mit Schönheitsfehlern Stand halten müssen (und es sind ja eigentlich alle, denn who is perfect!?) als viel größer.
Oder wie kann ich diesen Zwang und Ehrgeiz zur profilierten Selbstdarstellung über diverse Medien der Kinder heute einordnen? Ist das gesund, wenn man täglich gekünstelte Selfies schießt und sie in sein Whatsapp-Profildbild hoch lädt? Diese Bilder entsprechen oftmals nur der halben Realität und haben alle eins gemein: Profilierung – ohne Schönheitsfehler. Ich sehe bei den Bildern nie eine „Birgit“, die mit Zahnspange lächelt und auch nie einen „Sebastian“, der sein, nun einmal vorhandenes Doppelkinn, zeigt. Okay, okay, natürlich zeigt man sich nicht im schlechten Licht – das war schon immer so und wird auch immer so bleiben. Die Meinung anderer ist dabei einfach zu wichtig. Allerdings stellt sich doch die Frage nach dem gesunden Maß. Und es stellt sich auch die Frage für uns Eltern, wie man sein Kind auf dem Weg zum Erwerb eines natürlichen Selbstbewußtseins mit emotionaler Stärke und gutem Umgang mit den eigenen Schönheitsfehlern unterstützen kann.
Als meine – so liebe!- Nichte (14 J., kein BMI nach Maß sondern deutlich darüber) vorgestern heulend vor einem Modegeschäft Zara stand, weil ihr keins der kurzen, bauchfreien Oberteile passte, die man heute nun mal so trägt, wußte ich ehrlicherweise nicht so recht, wie man heute als Eltern/Tanten/usw. mit Schönheitsfehlern umgeht.
In jedem Fall herzzerreißend und traurig. Und so wundert es mich auch, dass Brillen, die ja doch längst en vogue sind, bei den heutigen Teenies auch nicht auf „Akzeptanz“ stoßen.
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Du sprichst in deinem Kommentar genau diese, durch unsere Medien gebildete, gesellschaftliche Norm an, die vielen heranwachsenden Persönlichkeiten die Akzeptanz und Liebe zu sich selbst erschwert oder gar unmöglich macht. Schon immer hat es in unserer Welt Schönheitsideale gegeben. Jedoch noch nie, wie ich meine, mit derartig extremen Auswirkungen auf Ess- und Fitnessverhalten. Ein gesundes und aktives Leben sollte bei jedem im Fokus stehen, jedoch immer individuell angepasst und vor allem nur soweit das sich jeder in seiner Haut wohl fühlt und vor allem glücklich ist. Ich finde es oftmals traurig, zu beobachten, wenn mir Mitmenschen ihre Diätpläne präsentieren, diese vorbildlich umsetzen, jedoch alles andere als glücklich wirken, weil sie mittlerweile nur noch im Verzicht leben, gereizt sind und ihre negative Persönlichkeitsveränderung nicht mitbekommen. Und alles nur für das äußere, perfekte Erscheinungsbild. Ist es das wert?
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