„Ich bin ein Wal!“
Um meinen Abschiedsschmerz nicht zeigen zu müssen, rief ich diesen Satz meiner Tochter und ihrem Lebensgefährten durch die geöffnete Autofensterscheibe zu. Ich drehte mich um und verschwand zügig im Bahnhofsgebäude, den Klos in meinem Hals hinunter schluckend. Nach ein paar tiefen Atemzügen beruhigte sich mein innerer Zustand. Ich hasse tränenreiche Abschiedsszenen und aus diesem Grund durfte mich mein großes Mädchen nicht zum Bahngleis begleiten.
Vorgestern kehrte ich von meinem zweitägigen Aufenthalt zurück. Meine einzige Tochter und ihr Partner befinden sich gerade auf einem Zwischenstopp in Deutschland, bevor es für die beiden wieder weitergeht. Seit August letzten Jahres sind sie in der Welt für ihre Mission als ozeankind.de unterwegs.
Im Herbst 2016 weihte sie mich in ihr Vorhaben ein und teilte mir mit, das die beiden für lange Zeit oder sogar für immer Deutschland verlassen werden. Das sie ihre Jobs kündigen werden, ihre Wohnung aufgeben und sich von allem materiellen Dingen verabschieden werden. Meine freiheitsliebende, reisefreudige Tochter verfolgt mit ihrem Partner einen etwas anderen Lebensplan. Um mich zu beruhigen, redete ich mir ein, das es nur eine Entwicklungsphase sein wird und es sich um „ein-sich-ausprobieren“ handeln wird.
Im Sommer 2017 sollte es für die beiden losgehen. Freudig folgte ich letzten Sommer der Einladung zu ihrer Abschiedsfeier, welche sich zu einem Abschied mit Hindernissen entpuppte. Viele kleine Missverständnisse und äußere Umstände führten dazu, das ich mich nicht tiefsinnig mit ihr unterhalten konnte, wie ich es mir eigentlich vorgenommen hatte.
Ich, welche immer alles auf den letzten Drücker erledige, kann nicht erwarten, das meine Bedürfnisse termingerecht umgesetzt werden. Und nur weil ich gerade so weit bin, meiner Großen das schon lange überfällige, persönliche Interesse entgegen zu bringen, heißt es noch lange nicht, das meine Zeitplanung mit der ihrigen übereinstimmen wird.
Hinzu kam die Anzahl ihrer Gäste, für die sie sich natürlich auch ihre Zeit nehmen wollte. Gerade für diese Situation habe ich vollstes Verständnis, da ich so gut wie immer in dieser Rolle stecke, jedem gerecht werden zu wollen. Ein typischer Charakterzug des Wales, jener Ausruf zu Beginn meines Beitrages. (Die Erklärung dazu folgt später noch).
Wir beide hatten also keinerlei Möglichkeit des persönlichen Austausches, kein Vieraugengespräch zwischen Mutter und Tochter, keine Zeit übrig um meine bisherigen, so spärlichen Gesten von Zuneigung nachholen zu können. Keinen Raum um ihr zu sagen, wie stolz ich auf sie und ihr Vorhaben bin und das ich davon überzeugt bin, das es richtig ist, was die beiden umsetzen werden.
Ich war glücklich, das ich meinen erwachsenen Sohn bei mir hatte. Er hörte sich geduldig meine ausgesprochenen Gefühlsregungen an und hielt mich mit seiner unverwechselbar, symphatischen Art bei Laune.
Diese liebevoll, tröstende Rolle übernahm er auch im darauf folgenden Urlaub. Der Tag des Abfluges meiner Tochter fiel genau in unseren geplanten Toskana-Familienurlaub, welchen ich nicht einfach mal so wieder umbuchen konnte, um bei meiner Großen sein zu können. In dieser Zeit habe ich alle Mütter von „Einzelkindern“ beneidet, welchen das Gefühl von Zerrissenheit ihren Kindern gegenüber unbekannt ist.
Ich erinnere mich noch genau an jenen Moment zurück, als ich während des Abendessens in einem Restaurant auf dem schönsten Platz von Lucca versuchte, sie telefonisch zu erreichen. Wie naiv von mir, zu glauben, das nur ich sie vor ihrem check-in sprechen möchte. Andere belegten die Leitung, weil sie ihr auch noch liebe, persönliche Worte auf ihren Weg mitgeben wollten.
Anstatt mich schon früher bei ihr gemeldet zu haben oder es eben zu einem anderen Zeitpunkt nachzuholen, rutschte ich immer mehr in die Rolle des Selbstmitleids und begann mich in meinen Kokon des Schmerzes zurückzuziehen.
Irgendwann, einige Monate später war ich bereit, mich auf meinen inneren Friedensweg zu begeben. War bereit, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, gemeinsame Lebensabschnitte neu zu überdenken und diese nicht mehr zu bewerten.
Ich hörte auf, die Schuld ihrer persönlichen Veränderungen bei ihrem Partner zu suchen. Das ist auch eine Eigenschaft von Müttern, wenn sich ihre Kinder plötzlich anders entwickeln, als man es sich für sie gewünscht hat. Ich begann ihr Leben aus der Vogelperspektive zu betrachten. Nicht als Mutter, sondern als Außenstehende.
Ich begann mich mit ihr zu freuen und verfolgte begeistert ihre Instagram Stories. So war ich irgendwie bei ihr, wenn auch nur ein weiterer User unter vielen anderen, aber besser als nichts! Große Sehnsüchte konnte ich mit Hilfe der Internettelefonie stillen.
Als mein Vater vor vielen Jahren kurz vor der Mauerschließung nur mit einem Fahrrad und einem Koffer bewaffnet in Richtung Westen aufbrach, hätte sich seine Mutter diese Art der Kommunikation gewünscht. Sie musste auf Briefe warten, die lange unterwegs waren, um von ihm ein Lebenszeichen zu erhalten. Heute ist immer eine zeitnahe Unterhaltung möglich, sofern du eine Internetverbindung hast.
Die schmerzliche Trennung und der mit mir selbst geschlossene Frieden ließ meine Emotionen fließen.
Meine anfängliche Blockade war verschwunden. Jene Schreibblockade, die sich mir kurz nach Erstellung meiner Internetseite, Anfang 2017, in den Weg stellte.
Nun war ich bereit meinen Blog zu BESCHREIBEN. Meine Lähmung verschwand und gefühlsbetonte Beiträge fanden ihren Weg über meine Tastatur zu euch – meinen Lesern. Danke, das es euch gibt! Eure herzlichen Kommentare bestätigen mich darin, zu mir und meinen Emotionen zu stehen.
Vor vier Tagen war es endlich soweit. Ich durfte meine Große wieder in die Arme schließen. Am liebsten hätte ich sie ständig geknuddelt und geküsst.
„Mama – gib mir bitte die Zeit, jetzt mit dem anderen Extrem klar zu kommen. So kenne ich dich noch nicht.“, sagte sie mir lächelnd.
Mir blieben zweiundzwanzig Stunden Zeit, um sie mit meinen Gefühlen, Gedankengängen und Erlebnissen zu überschütten. Jedoch ließ ich genügend Raum für ihre Gefühle, Empfindungen, Meinungen und Einstellungen. Sie weihten mich in ihre weiteren Pläne ein und wir führten unser Vieraugengespräch. Ich konzentrierte mich einzig und alleine auf sie und ihren Partner.
Ich hoffe, das ich ihr einiges geben konnte, was sie sich schon so lange gewünscht hat. Bald liegen wieder mehrere tausend Kilometer zwischen uns, wenn sie sich wieder aufmachen um ihren Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. Stolzerfüllt blicke ich ihr hinterher.
Mein Mädchen,
ich lasse dich ziehen. Ich bin überglücklich das nun nichts mehr zwischen uns steht. In Gedanken bin ich immer bei dir und freue mich schon heute auf weitere Fotos von dir und auf eure Beiträge in eurem Blog.
Ich werde euch in meinem Umfeld bei eurer nächsten CleanUp-Veranstaltung unterstützen. Nicht weil du meine Tochter bist – sondern aus eigenem Umweltantrieb!
https://ozeankind.de/ozeankind-cleanup-in-deutschland/
Ausgesprochene Gefühle öffnen ungeahnte Energiequellen!
Getragen von den Wellen der inneren Zufriedenheit gleite ich glückselig ins alltägliche Leben zurück.
Dankbar beende ich heute meinen vierzehntägigen Urlaub, welcher wertvoller nicht sein konnte und beginne gestärkt den morgigen Arbeitsalltag.
Ach ja … ich wollte euch noch den Ausruf: „Ich bin ein Wal!“ erklären. An dieser Stelle verlinke ich euch zu dem genialen Redner – Tobias Beck, der mir humorvoll in seinem youtube Video die vier tierischen Menschentypen näher erläuterte.
Ihr seid ein schönes Beispiel dafür, dass es nie zu spät ist, die eigenen Emotionen mitzuteilen und das Eis zu brechen.
Du kannst sehr stolz auf Deine Tochter und ihr Projekt sein. Und auch auf Dich, dass Du das Eis gebrochen hast.
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Wenn ich auch längere Zeit brauchte, um diesen Schritt zu gehen, um so glücklicher bin ich nun dein erwähntes Eis gebrochen zu haben. Es tut so gut und ich fühle mich sehr erleichtert und befreit.
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