Spiegel der Generationen

Gestern Nacht kamen wir von unserer Reise ins heimatliche Frankenland zurück. Wir besuchten meinen Vater und seine liebe Ehefrau, welche beide zu Beginn diesen Jahres ihre Silberhochzeit feiern durften.

Ich ähnele meinem Vater nicht nur sehr in vielen Charakterzügen, sondern auch unsere beiden Leben gleichen sich sehr. Wir sind beide das dritte Mal verheiratet. Wenn wir zurückblicken, würden wir diese Entscheidungen in denselben Lebenssituationen wieder treffen. Würden wir gefragt werden, ob wir etwas bereuen würden, könnten wir das mit gutem Gewissen verneinen, bis auf die Ausnahme der weitreichenden, seelischen Auswirkungen auf die eigenen Kinder, welche durch Partnerwechsel entstehen können. Wir sind uns einig, das Trennungskinder von Gefühlen wie Verwirrtheit, Trauer, Verlustängsten, Wut, Schuldgefühl, Zerrissenheit und das Gefühl des nicht mehr geliebt Werdens begleitet werden. Und das sie in vielen Fällen zeitlebens individuell damit zu kämpfen haben.

Und weil ich gerade in meinem Leben beide Situationen erleben musste oder durfte, kann ich die Rolle des verlassenen Kindes, sowie auch die Rolle des unglücklichen Partners sehr gut nachempfinden. Es gibt keine Antwort wie RICHTIG oder FALSCH. Keine detaillierte Wegbeschreibung für den richtigen Lebensablauf. Jedes Urteil über ähnliche Lebenslagen sollte mit Bedacht gefällt werden. Denn niemand kann sich in dieselbige, aktuelle Situation des Betroffenen hinein versetzen.

Viele außen stehende Personen geben ihre wenig unterstützenden, geschweige denn hilfreichen „Schlaumeierbemerkungen“ zum Besten. Oft sind es auch die Menschen, die dir nahe stehen, welche dir mit Unverständnis und Hass gegenüber treten. Sie werden getrieben durch Motivationsgründe wie Neid, Eifersucht und Missgunst. Egal wie lange geschehene Ereignisse zurück liegen. Sie schaffen es nicht über ihren eigenen Schatten zu springen und verfallen immer wieder in die gleichen Angriffsmuster.

Jene, die dir hinterrücks viele kleine Gräben der Verachtung schaufeln und mit ihrer Hetzerei dafür sorgen, das dir die Türen zu wichtigen Wegbegleitern verschlossen bleiben. Jene die ihr negativ geprägtes Saatgut auf dem Boden der oberflächlich denkenden Gesellschaft sähen, welche nichts hinterfragen, um sich eine eigene Meinung bilden zu können. Jene Menschen, welchen der Mut zum direkten Gespräch mit den Betroffenen fehlt.

Lieber Papa,

mach dir keine Gedanken mehr darüber, was du in deinem über achtzig jährigen Leben hättest anders machen sollen. Mich schmerzt es zu sehen, wie du dich grämst.

Wir wissen beide, wie leicht es ist, die Schuld auf den anderen zu schieben. Wir wissen aber auch beide, das es in unserer Hand liegt, sich selbst zu ändern. Andere können wir nicht verändern. Daran habe ich ein Leben lang geglaubt. Meine Meinung: „Der/Die ändert sich schon noch!“ hat mich Jahrzehnte lang begleitet und in die Irre geführt.

DU kannst niemanden ändern. Ausschließlich der oder die Betreffende selbst kann sich aus eigenem Willen und Überzeugung verändern. Wir haben nur Einfluss auf unsere Eigenheiten. Das zu erkennen hat bei mir eine Ewigkeit gedauert und Selbstreflexion zu leben fällt mir immer wieder schwer, wenn es um meine tief sitzenden Verhaltensmuster geht. Gerade weil ich Starrkopf oft anderer Meinung bin und diese durchsetzen möchte. 😉

Egal, was andere über dich denken oder welche Meinung sie über dich haben. Für mich bist du das BESTE, was mir passieren konnte. Ich weiß, das ich nicht in eure Familienplanung passte. Das ich nicht mehr erwünscht war, haben mich meine weiblichen Familienmitglieder immer wieder spüren lassen. Du jedoch hast mir nie dieses Gefühl gegeben. Und dafür bin ich dir sehr dankbar. Meine Entstehung war keine Laune der Natur.

Jedem von uns ist sein Platz auf dieser Erde vorherbestimmt. Und es liegt an uns, mit dem Antrieb von Liebe das Beste daraus zu machen.

Als kleines Kind hast du mir die Grundwerte vermittelt. Als ich in die Grundschule ging, trennten sich unsere Wege. Du hattest keinen direkten Einfluss auf meine Entwicklung und konntest nur zeitweise die Beobachterrolle übernehmen. Alles andere wurde dir durch äußere Einflüsse verwehrt und du hast das „darum Kämpfen“ aufgegeben. Nicht aus Charakterschwäche, sondern weil du unseren zerrissenen Zustand nicht verstärken wolltest.

Zu groß war die Verzweiflung auf der anderen Seite, welche sämtliche Brücken des Miteinanders zerstörte. Keiner kann uns versprechen, das ein Ausharren in der Partnerschaft zur positiven Entwicklung unserer Kinder beigetragen hätte.

Nur die Bereitschaft zu einer beidseitigen Beziehungsarbeit kann Wunden heilen und das Wunderbare wiederherstellen.

Als junge Teenager-Mama habe ich mich zu dir bekannt und immer für und um dich gekämpft und dich zum Leidwesen meiner Mutter verteidigt. Es hat sich gelohnt.

All die gemeinsamen Erinnerungen unserer letzten vierzig Jahre kann mir keiner nehmen. Auch wenn du mit Liebesbezeugungen sehr spärlich umgegangen bist, weiß ich das du all deine Kinder liebst. Liebe zeigen zu können, muss man erlernen, wenn man dies nicht erfahren durfte.

Gerade Menschen aus eurer Generation, welche in Kriegs- und Nachkriegszeiten aufwuchsen, sollte Verständnis und Respekt entgegen gebracht werden. Eure Eltern hatten zu jener Zeit andere Sorgen, die ihnen schlaflose Nächte bereiteten. Sie waren froh, wenn sie euch irgend etwas Essbares anbieten konnten und ihre Lieben am Leben bleiben durften. Das hat euch alle geprägt.

Jedes Gesicht spiegelt das eigene Leben wieder und jede integrierte Falte zeichnet die erfahrenen Lebensemotionen auf. Wir sollten diese Merkmale schätzen und lieben, wenn uns auch der welkende Zustand unseres Körpers zu schaffen macht – so sagt er doch so viel Wertvolles über uns aus.

Was ich besonders beeindruckend finde ist die Erkenntnis, das ich ein echter Ableger von dir bin, ohne von dir erzogen worden zu sein. Viele Eigenschaften und Begabungen stecken in uns selbst und wurden uns durch unsere Vorfahren über mehrere Generationen mitgegeben. Und wenn ich meine Kinder betrachte, so sehe ich, das auch wir in ihnen weiterleben werden. Das sie vielleicht später in der Lage sein werden, alles was ist und sein wird aus einem liebevollen Blickwinkel betrachten zu können, um auf diese Art und Weise mit der Vergangenheit abzuschließen.

Langsam beginnt sich die Rollenverteilung zu drehen. Früher warst du um mich besorgt. Heute beginne ich mir Gedanken um euch zu machen. Oft werden wir von unseren Kindern belehrt. Ich von meinen erwachsenen und ihr von euren – also von uns.

Ich stecke gerade mal wieder ZWISCHENDRIN. Als Mutter und Tochter gleichzeitig. Ich hoffe, das ich immer die richtigen, feinfühligen Sätze finden werde, um dir zu zeigen, das ich es einzig und alleine deswegen ausspreche, weil ich euch helfen möchte.

Ich kann euch eure letzten Jahre nicht vorschreiben oder was vielleicht besser für euch sein könnte. Ich kann nur unsere Hilfe anbieten. Eine Hilfeleistung, welche aufgrund der räumlichen Entfernung nur begrenzt möglich ist. Ihr entscheidet ganz alleine, wie viel und wann ihr diese in Anspruch nehmen werdet.

Lieber Papa – meine Liebe zu dir wird niemals vergehen. Du wirst immer in meinem Herzen sein und bleiben. So wie auch Mama tief in meinem Herzen wohnt. Ich werde euch, solange ich lebe, am Leben erhalten, werde von euch erzählen, werde mich von deinem Motorrad tragen lassen, werde eure Lieblingsorte besuchen, gemeinsame Lieblingsgerichte zubereiten, auf euch Einen trinken und ihr werdet mich in Gedanken auf all meinen Wegen begleiten.

Und meine Fähigkeiten werden mich weiterhin an euch, meine geliebten Eltern erinnern. Ich bin froh, das ich dies alles noch sagen darf und du die Möglichkeit hast, es zu lesen. Und ich freue mich schon heute auf unseren bevorstehenden Sommerurlaub in den Bergen.

Wenn du auch nicht mehr wie ein Gamsbock den Berg hinauf hechten kannst, so weiß ich das uns viel Zeit zum Reden übrig bleiben wird.

Wertvolle Zeit – welche niemand verstreichen lassen sollte.

Deine dich liebende Tochter