Drei Gramm und die Schwerkraft…

…können so Einiges bewegen. Mein heutiger Blick in den, mit achtfacher Vergrößerung ausgestatteten, Kosmetikspiegel zeigt mir eine neue Stelle meines Körpers, an dem die Spuren meines zunehmenden Alters wieder einmal zu erkennen sind. Als ich meiner Mutter vor etwa 18 Jahren jammernd meine ersten Augenfältchen zeigte, sagte sie zu mir: „Ach Hase (mein Spitzname, wenn sie es gut mit mir meinte) das sind doch nur Lachfältchen. Du hast vielleicht Probleme! Das ist nun mal so im Leben und gehört dazu.“

Ja – so ist das nun mal im Leben! Diesen Satz höre ich sie gedanklich noch immer zu mir sagen, wenn es sich um Veränderungen meines Körpers oder andere Rückschläge handelt. Mir fehlen die täglichen Gespräche mit ihr noch immer, welche wir auf Grund der Entfernung nur über das Telefon führen konnten. Ihr endgültiger Abschied jährt sich in diesem Frühjahr zum achten Mal und nach wie vor, fehlt sie mir sehr. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, das ich meine Gedanken aufschreibe. Sollte ich irgendwann das Zeitliche segnen, besteht zumindest über diesen Weg die Möglichkeit, gemeinsame Erinnerungen wieder ins Leben zu rufen.

Nun aber zurück zu meiner heutigen Entdeckung im Spiegel. Unglaublich finde ich, das sich selbst die Form kleiner Ohrläppchen, eiförmig in Richtung Erdboden verändern und das eine gerade mal drei Gramm schwere Kreole, das vor 40 Jahren gestochene Ohrloch, zu einer tiefen Falte verwandeln kann. Diese Tatsache hat folgende Frage, für meinen heutigen Beitrag, zum Leben erweckt.

Woran erkenne ich, das sich meine Anwesenheit auf dieser Welt einem halben Jahrhundert nähert?

…Wenn mir das Anziehen von Strumpfhosen oder engen Leggings meist nur noch im Sitzen gelingt, da im Stand mein Gleichgewichtssinn urplötzlichen Störungen ausgesetzt wird.

…Wenn ich mir am liebsten Baustellenkopfhörer aufsetzen möchte, um der temperamentvollen Geräuschkulisse meiner oder anderer Kinder entfliehen zu können. Und wenn ich aus demselben Grund nur noch abgelegene Urlaubsorte, in stiller Natur, mit wenigen Menschen vorziehe.

…Wenn nächtliche, exzessive Partys nur noch mit einer zweitägigen Erholungsphase ausgeglichen werden können.

…Wenn eine sichere Körperhaar-Rasur nicht mehr ohne Brille stattfinden kann.

…Wenn sich nach einem weiteren Versuch ohne Kosmetikspiegel,  meine eben aufgetragene Wimperntusche bis über die Augenbraue zieht und ich aus derselben Blindheit heraus, anstatt mich selbst, den hinter mir stehenden Sohn oder Schrank mit meinem Lieblingsparfüm einsprühe. Eine farbliche Kennzeichnung der Öffnung im Sprühknopf wäre ein kleiner Verbesserungsvorschlag meinerseits.

…Wenn ich während des Joggings dringend eine Toilette aufsuchen muss und glücklich bin, dieses Mal vorher an das Öffnen des WC Deckels gedacht zu haben.

…Wenn ich mit der angebotenen Shapewear nicht nur liebäugel, sondern diese auch plötzlich zu gegebenen Anlässen trage. Das war bis vor Kurzem ein absolutes No-Go für mich.

Oder aber – wenn ich in der Schlange an der Supermarktkasse stehe. Und mich dieser vor mir stehende, gut aussehende, etwa dreißigjährige Typ mit knackigen Hinterteil KEINES Blickes würdigt. Aber ein schätzungsweise, Anfang sechzigjähriger Herr aus der Reihe der rechten Kasse mir zu zwinkert und offenherzig mit mir flirten möchte.

Das sind die Momente, die mir sanft und stetig zeigen, das die Realität eine andere ist, als jene mediale Welt, welche uns ewige Jugend, Schönheit und Fitness vorspielt. Wenn ich auch nicht besonders glücklich über die Tatsache bin, darüber zu Lächeln hilft mir persönlich immer. Mal mehr – mal weniger!

P.S. Das von mir ausgesuchte Spiegelbild-Beitragsfoto stammt aus einem Urlaub vor sechs Jahren. 😉